Rund 2 000 Jahre später, im 15. Jahrhundert, kam ein Reformer, der den Namen Nanak trug. Er versuchte eine Religion zu schaffen, die sowohl für Hindus als auch für Muslime annehmbar war. So entstand der Sikhismus. "Sikh" ist ein Wort aus dem Sanskrit, das "Jünger" bedeutet. Nanak war der erste von zehn Gurus, von denen der zehnte 1699 eine Bruderschaft mit Namen Khalsa (die Reinen) gründete.
Um Kastenunterschiede auszumerzen und Nachdruck darauf zu legen, daß sie Streiter für ihren Glauben waren, nahmen die Gläubigen den gemeinsamen Beinamen Singh (Löwe) an. Von ihnen wurde das Tragen der fünf K verlangt: das niemals geschorene Haar von Bart und Haupt (kes), ein Kamm (kangha), um das von einem Turban bedeckte Haar zu befestigen, kurze Hosen (kaccha) — meist unter langen Hosen getragen —, ein Dolch (kirpan) und ein stählernes Armband (kara). Die Nachfolge der Gurus endete mit dem zehnten. Das heilige Buch des Sikhismus, der Guru Granth Sahib, trat an ihre Stelle. Er wurde 1604 zusammengestellt und ein Jahrhundert später überarbeitet.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchte der kalkuttische Priester Ramakrishna, den Hinduismus mit dem zu vermischen, was er als das Beste des westlichen religiösen Gedankenguts betrachtete. Er argumentierte, daß, so wie das Wasser in verschiedenen Sprachen verschiedene Namen hat, "Sat-chit-ananda, das ewige, intelligente, selige Wesen, von einigen als Gott, von anderen als Allah, als Jehova, als Hari oder als Brahman angerufen wird". So, "wie man das Dach eines Hauses über eine Treppe, mit einer Leiter, einem Bambusrohr oder einem Seil erreichen kann, so sind auch die Mittel und Wege verschieden, sich Gott zu nahen. . . . Verschiedene Glaubensrichtungen sind nur verschiedene Wege zum Allmächtigen."
Diese tolerante Haltung gewährt großen Spielraum in der hinduistischen Anbetung. Sie gestattet es, daß einige Sekten ihre Anbetung vorwiegend an Brahma (Brahmanismus) richten, andere an Wischnu (Wischnuismus) und noch andere an Schiwa (Schiwaismus).
Sie erlaubt es dem volkstümlichen Hinduismus, dem Schaktismus und dem Tantrismus, den Hinduismus auf ihre Art zu lehren. Die Anhänger des Tantrismus beispielsweise pflegen Stammes- und Volksbräuche und verehren eine Göttin, deren Anbetung schon früh in der Geschichte des Hinduismus aufkam. Die Inder sprechen von ihrem Land als "Mutter Indien", und es wird durch eine Göttin namens Bharat Ma dargestellt.
"Dem Hinduismus ist es stets gelungen, neue Lehren in sich aufzunehmen", schreibt Geoffrey Parrinder, englischer Theologe und Lehrbeauftragter für vergleichende Religionswissenschaft. "Dieser Synkretismus, das heißt die Verschmelzung von Religionen, ist wahrscheinlich die größte Gemeinsamkeit in der hinduistischen Lehre von heute."
Viele schließen sich der hinduistischen Philosophie der Toleranz an und sagen in etwa: "Diene Gott auf eine Weise, wie es dir richtig erscheint."
Doch Parrinder weist darauf hin, daß zufolge der "Gleichsetzung aller Glaubensansichten" die Gefahr besteht, "nicht mehr zwischen gut und schlecht zu unterscheiden". Wird es aber nicht immer offensichtlicher, daß Religion sowohl gut als auch schlecht sein kann? Ist es wünschenswert, Elemente einer schlechten Religion in die eigene aufzunehmen?
Heute sind viele von ihrer Religion enttäuscht. So erging es auch einem Hindu von der herrschenden Kaste der Kschatrijas, der vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden lebte. Der Hinduismus konnte seine Fragen nicht beantworten. Er suchte nach der Erleuchtung.
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