Montag, 20. Mai 2013
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GEISTIGE FINSTERNIS IN DER CHRISTENHEIT – 2. Teil

Das Werk Meyers Illustrierte Weltgeschichte bezeichnet "die drei Säulen, auf denen das europäische Mittelalter ruht", als "das Erbe des klassischen Altertums in seiner spätrömischen Ausprägung, das Christentum und schließlich die Traditionen, die die Germanenvölker von ihren Vorfahren übernommen hatten". Zur Bestätigung sagt der deutsche Autor Emil Nack: "Die alten germanischen Jahresfeste fanden vielfach ihre Fortsetzung in den christlichen Feiertagen, da die Kirche auf den Rat des Papstes Gregor des Großen manche heidnische Feiern in christliche umwandelte."

Die Beobachtung dieser religiösen Feste setzte keine tiefe Religiosität unter den Germanenvölkern voraus. Andreas Heusler, Experte für die germanische Religion, schreibt über diese Religion, daß sie "nicht eben viel verbot und auch nicht Schweres verlangte, auch keine mythologische Rechtgläubigkeit. Fromm war, wer opferte, den Tempelzoll zahlte, kein Heiligtum schändete und keine Spottverse auf die Götter dichtete." Er kam zu dem Schluß: "Religiöse Inbrunst ist das noch lange nicht. . . . Der Idealismus des Germanen lag nicht in seiner Religion."

Obgleich die alten Germanenvölker an Götter glaubten, waren sie der Meinung, es gebe eine noch höhere Macht, die die Götter geschaffen habe. "Es ist die Macht des Schicksals", erklärt Emil Nack. Sie "läßt sich nicht beeinflussen durch Opfer oder Gebet". Dennoch schrieb man dem Schicksal keine "blinde Willkür" zu, da es, wie man annahm, in Einklang mit den Naturgesetzen handelte. Somit galt der Mensch als "ein frei Handelnder, er ist nicht Opfer".

Die germanische Religion war in der Natur verwurzelt. Oft wurde im Freien, in Wäldern, geopfert. Eine germanische Sage spricht von einem kosmischen Baum mit Namen Yggdrasil, wo die Götter täglich Rat hielten. In der Encyclopedia of Religion wird er wie folgt beschrieben: "Er reichte bis in den Himmel, und seine Zweige breiteten sich über die ganze Welt aus. . . . Die Symbolik des Baumes . . . spiegelt sich in anderen Traditionen wider. Im alten Babylon beispielsweise wuchs Kiskanu, ein kosmischer Baum, an einer heiligen Stätte. . . . Im alten Indien wird das Universum durch einen umgekehrten Baum dargestellt. . . . Doch es gibt keinen Beweis für irgendein jüdisch-christliches Element in der Vorstellung vom Yggdrasil."

Angesichts dieses Hintergrundes überrascht es nicht, daß in Ländern, die von der germanischen Religion stark beeinflußt wurden, die Menschen nicht sehr religiös, sondern eher fatalistisch sind und zu der Auffassung neigen: "Die Natur ist mein Gott." Es ist auch verständlich, daß viele heidnische Bräuche, die von der germanischen Religion in das Christentum übernommen wurden, naturverbunden sind. Weihnachtsbräuche wie die Verwendung von Lichtern, Mistelzweigen, des Julblocks oder des Weihnachtsbaums sind nur einige Beispiele.

Die Ostkirche, die ständig mit der abendländischen Kirche im Streit lag, war auch mit sich selbst uneins, wie der Bilderstreit zeigt. Ikonen sind im Unterschied zu den dreidimensionalen Bildnissen, wie den Statuen der römischen Kirche, religiöse Bilder auf einer flachen Oberfläche, wozu auch getriebene Arbeiten gehören. Sie stellen im allgemeinen Christus, Maria oder einen "Heiligen" dar. Im Oströmischen Reich wurden sie so volkstümlich, daß sie gemäß John S. Strong vom Bates-College "als direkte Spiegelbilder oder Nachahmungen der Personen, die sie darstellen, gelten, und . . . man schreibt ihnen daher heilige Kräfte und eventuelle Wunderkräfte zu". Anfang des achten Jahrhunderts verbot jedoch der byzantinische Kaiser Leo III. ihre Verwendung. Der Streit wurde erst 843 u. Z. endgültig beigelegt, und seit dieser Zeit wird der Gebrauch von Ikonen in der orientalischen Kirche gebilligt.

Ein weiteres Beispiel für Uneinigkeit in der Ostkirche stammt aus Ägypten. Ein Teil der ägyptischen Katholiken sprach Koptisch, der andere Griechisch, und die beiden Sprachgruppen waren sich über die Natur Christi uneinig. Wenn die byzantinische Obrigkeit es auch nicht zugeben wollte, führte dies doch zum De-facto-Bestehen zweier getrennter Kirchen. Ständig versuchten beide Parteien, einen ihrer Bischöfe in die Stellung des Patriarchen von Alexandria zu manövrieren.

Heute sind die orientalischen Kirchen immer noch geteilt. Die katholischen Ostkirchen, d. h. mit Rom unierte Kirchen, anerkennen beispielsweise die Jurisdiktion des Papstes. Die orthodoxen Kirchen und die orientalischen Nationalkirchen hingegen nicht.

Lange bevor das unheilige, kaum römische Reich, das gar kein Reich war, endete, "hatte ein Vermächtnis des Hasses von Christen gegenüber anderen Christen tief im Herzen des christlichen Ostens Wurzeln geschlagen", schreibt der anglikanische Geistliche Waddams. Bestimmt blieb die Sünde, daß "Christen" sich gegenseitig hassen, wenn sie auch im Finstern begangen wurde, im Himmel nicht unbeachtet, sondern war so deutlich zu sehen wie eine Feuersbrunst.

Auch auf der Erde blieb die Sünde der Christenheit, ein entzweites Haus geschaffen zu haben, nicht unbeachtet. Ein herausragender Araber des siebten Jahrhunderts u. Z. beispielsweise, der "durch seine Reisen und durch gute Bekannte viel vom Christentum wußte", so Waddams, war von den "Streitigkeiten, die er unter Christen beobachtete", nicht beeindruckt.

Dieser Mann suchte einen besseren Weg als den von einer entzweiten Christenheit gebotenen. Fand er ihn?

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