Anfang des vierten Jahrhunderts verlegte Konstantin der Große, nachdem er Kaiser des Römischen Reiches geworden war, dessen Hauptstadt, und zwar von Rom nach Byzanz, einer am Bosporus gelegenen griechischen Stadt. Sie wurde in Konstantinopel umbenannt, und heute heißt sie Istanbul (Türkei). Die Verlegung sollte das auseinanderfallende Reich vereinigen. Schon in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts "hatten sich die Umrisse eines geteilten Reiches herausgeschält, wenn auch nur undeutlich", schreibt die New Encyclopædia Britannica.
Das Christentum war im östlichen Teil des Reiches schneller und bereitwilliger aufgenommen worden als im westlichen. Daher sah Konstantin in einer allgemeinen (katholischen) Religion eine einigende Kraft. Doch ähnlich wie das Reich im Grunde gespalten war, verhielt es sich auch mit der Religion. Die Ostkirche war konservativer als die römische, und sie widerstand den theologischen Neuerungen Roms. "Bis ins zwölfte Jahrhundert gab es viele politische und theologische Streitigkeiten zwischen den beiden Kirchen", heißt es in dem Werk The Collins Atlas of World History.
Bei einer dieser theologischen Streitigkeiten ging es um das Nizäische Glaubensbekenntnis, das die Entwicklung der unbiblischen Dreieinigkeitslehre förderte. Es wurde von den ersten drei ökumenischen Konzilien der Kirche ausgearbeitet (Nizäa, 325 u. Z.; Konstantinopel, 381 u. Z.; Ephesus, 431 u. Z.) und besagt, daß der Heilige Geist "vom Vater ausgeht". Doch auf einem Konzil des sechsten Jahrhunderts änderte die abendländische Kirche den Wortlaut dahin gehend, daß er "vom Vater und vom Sohn ausgeht". Der Zusatz des filioque (lateinisch für "und vom Sohn") war und ist ein Streitpunkt zwischen den "christlichen" Schwesterkirchen.
Die Uneinigkeit wurde augenfälliger, als das Weströmische Reich 476 u. Z. zu bestehen aufhörte, womit das finstere Mittelalter einsetzte. Was das Christentum betrifft, war das Mittelalter tatsächlich eine Zeit geistiger Finsternis und Unwissenheit. Das Licht des Christentums war vorübergehend von der Finsternis der Christenheit überschattet.
Religiöse Finsternis ist der Einheit nicht förderlich. "Die verschiedenen Teile der christlichen Welt suchten ständig nach einer Einheit, die nie erreicht wurde", sagt Herbert Waddams, ehemals Kanonikus von Canterbury. "Man kann nicht davon sprechen, daß eine völlige Einheit bestand, die später zerfiel", erklärt er. "Die Vorstellung, das Christentum sei einst eine große geeinte Kirche gewesen, ist aus der Luft gegriffen."
Beim Niedergang des Römischen Reiches (476 u. Z.) war die Christenheit unter sechs konkurrierende Bischöfe aufgeteilt — Rom, Konstantinopel, Antiochia, Alexandria, Jerusalem und Salamis (Zypern).
Das "Kind", das 800 u. Z. zu Weihnachten geboren wurde, sollte heilig genannt werden. Es war ein wiederhergestelltes westliches Imperium, das ins Dasein kam, nachdem Papst Leo III. mit der Ostkirche gebrochen und den fränkischen König Karl den Großen zum Kaiser gekrönt hatte. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde das abendländische Reich 962 u. Z. wiederbelebt und erhielt später den anmaßenderen Namen Heiliges Römisches Reich.
Eigentlich war die Bezeichnung Römisches Reich unrichtig. Der Großteil des Herrschaftsbereiches — heute Deutschland, Österreich, die westliche Tschechoslowakei, die Schweiz, Ostfrankreich und die Beneluxstaaten — lag außerhalb Italiens. Deutsches Land und deutsche Herrscher überwogen, so daß der offizielle Name schließlich auf Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation abgeändert wurde.
Das Reich vermischte Religion mit Politik. Nach Collier's Encyclopedia ging es darum, "daß es nur ein einziges politisches Oberhaupt in der Welt geben sollte, das mit der allgemeinen Kirche harmonisch zusammenarbeiten würde, wobei beide jeweils ihren eigenen von Gott verliehenen Machtbereich hätten". Doch die Grenzlinie war nicht immer eindeutig, und so kam es zu Auseinandersetzungen. Besonders Mitte des 11. bis Mitte des 13. Jahrhunderts rangen Kirche und Staat um die Führerschaft in Europa.
Einige sind der Ansicht, die Einmischung der Religion in die Politik sei selbstlos und gerechtfertigt gewesen, aber Waddams hält dem entgegen: "Es gibt kaum einen Zweifel, daß päpstliches Machtstreben in der Entwicklung eine bedeutende Rolle spielte."
Während der letzten eineinhalb Jahrhunderte seines Bestehens degenerierte das Reich zu einem losen Staatenverband unter der wackligen Macht eines gemeinsamen Kaisers. Für diese Geschichtsperiode sind die Worte des französischen Schriftstellers Voltaire äußerst passend, der sagte, es sei "weder heilig noch römisch, noch ein Reich" gewesen. Schließlich — im Jahre 1806 — starb das "heilige Kind", altersgrau und ohne etwas, was seine Heiligsprechung rechtfertigen würde. 1871 wurde es in Form des Deutschen Reiches wiederbelebt, das jedoch 1918, keine 50 Jahre später, zusammenbrach. 1933 begann das Dritte Reich unter Adolf Hitler seinen Parademarsch durch Europa, nur um 1945 in den Trümmern von Berlin zu einem schmählichen Ende zu kommen.
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