Bereits im ersten Jahrhundert wurde das Christentum von falschen religiösen Lehren beeinflußt, so daß sich Paulus veranlaßt sah, Timotheus aufzufordern, sich "von den Widersprüchen der fälschlich so genannten Erkenntnis abzuwenden". Hierbei bezog er sich wahrscheinlich auf den Gnostizismus, eine Bewegung, die Anfang des zweiten Jahrhunderts Bedeutung erlangte, aber offensichtlich schon im ersten Jahrhundert ins Leben gerufen wurde, möglicherweise durch einen gewissen Simon Magus. In einigen maßgeblichen Werken wird behauptet, es könne sich dabei um den in Apostelgeschichte 8:9 erwähnten Simon handeln.
Der Gnostizismus leitet seinen Namen von dem griechischen Wort gnósis her, das "Erkenntnis" bedeutet. Die Gnostiker behaupteten, das Heil sei von einer besonderen mystischen Erkenntnis tiefer Dinge abhängig, die gewöhnlichen Christen unbekannt seien. Der Besitz dieser Erkenntnis, so dachten sie, ermögliche es ihnen, wie die Encyclopedia of Religion schreibt, "die von Jesus geoffenbarte verborgene Wahrheit" zu lehren.
Der Ursprung des gnostischen Denkens ist vielfältig. Von Babylon übernahmen die Gnostiker den Brauch, Zahlen verborgene Bedeutungen zuzuordnen, da sie angeblich mystische Wahrheiten offenbarten. Die Gnostiker lehrten auch, daß alles Materielle böse und der Geist gut sei. "Es waren dies die gleichen Gedankengänge", schreibt der deutsche Autor Karl Frick, "wie wir sie bereits im persischen Dualismus und im fernöstlichen, chinesischen "Yin" und "Yang" vorfinden." Das "Christentum" der gnostischen Schriften stützte sich zweifellos auf nichtchristliche Quellen. Wie könnte es sich da um "die von Jesus geoffenbarte verborgene Wahrheit" gehandelt haben?
Der Gelehrte R. E. O. White bezeichnet den Gnostizismus als eine Kombination aus "philosophischer Spekulation, Aberglauben, halbmagischen Riten mit zeitweise fanatischem und sogar obszönem Kultus". Andrew M. Greeley von der Staatsuniversität von Arizona sagt: "Der Jesus der Gnostiker ist manchmal unlogisch, manchmal unverständlich und manchmal ziemlich unheimlich."
Beispiele für gnostische Glaubenslehren
Marcion (zweites Jahrhundert) unterschied zwischen einem unvollkommenen Gott des "Alten Testaments", der Jesus untergeordnet gewesen sei, und Jesu Vater, dem unbekannten Gott der Liebe des "Neuen Testaments". Die Vorstellung von einem "unbekannten Gott ist im Gnostizismus ein fundamentales Thema", erklärt die Encyclopedia of Religion. Dieser unbekannte Gott wird als "höchster Intellekt, der für den menschlichen Intellekt unzugänglich ist", identifiziert. Der Schöpfer der materiellen Welt hingegen ist untergeordnet und nicht absolut intelligent; er wird als Demiurg bezeichnet.
Montanus (zweites Jahrhundert) predigte die nahe Wiederkehr Christi und die Aufrichtung des Neuen Jerusalem in einem Gebiet, das heute zur Türkei gehört. Da er mehr Wert auf den Lebenswandel als auf die Lehre legte, versuchte er offensichtlich, die ursprünglichen Werte des Christentums wiederherzustellen, doch die Bewegung neigte zu Extremen und verfiel so schließlich in dieselbe Laxheit, die sie verurteilt hatte.
Valentin (zweites Jahrhundert), ein griechischer Dichter und der bedeutendste Gnostiker aller Zeiten, behauptete, Jesu Ätherleib sei zwar durch Maria gegangen, sie habe ihn aber nicht geboren. Diese Ansicht rührt daher, daß die Gnostiker alles Materielle als böse betrachteten. Somit konnte Jesus keinen materiellen Körper haben, sonst wäre dieser auch böse gewesen. Die Doketen, ebenfalls Gnostiker, lehrten, daß alles, was mit Jesu Menschsein zu tun hatte, lediglich auf Erscheinung und Vorstellung beruhte. Dies schloß seinen Tod und seine Auferstehung ein.
Manes (drittes Jahrhundert) wurde al-Babiliyu, arabisch für "der Babylonier", genannt, da er sich selbst als "der nach Babylon gekommene Bote Gottes" bezeichnete. Er war bestrebt, eine universelle Religion zu schaffen, indem er Elemente des Christentums, des Buddhismus und des Zoroastrismus miteinander verschmolz.
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