Tatsächlich war jede jüdische religiöse Splittergruppe gegen Johannes den Täufer und denjenigen, den er als Messias ankündigte. Statt der Botschaft des Johannes zu glauben, wandten sich viele Priester, wie Josephus sagt, den Zeloten zu, einer Gruppe jüdischer Revolutionäre, die auf Selbstbestimmung aus waren. Jahrzehntelang widersetzten sich Gruppen wie diese der römischen Herrschaft, die 63 v. u. Z. Griechenland abgelöst hatte, und verübten Terrorakte. Im Jahre 66 u. Z. gingen sie schließlich zum offenen Aufstand über. Dies führte zur Zerstörung des jüdischen Tempels und zum Ende der Priesterschaft. Die Hoffnung auf den Messias verdüsterte sich.
Jahrhunderte zuvor, während oder vielleicht kurz nach dem Babylonischen Exil, wurde großer Nachdruck auf eine Kenntnis des Gesetzes gelegt. Man erbaute Synagogen, Zentren der Belehrung, und danach wurde der Tempel nur bei besonderen Anlässen und zum Darbringen von Opfern besucht. Im 1. Jahrhundert u. Z. war es daher üblich, Gott in Synagogen anzubeten. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 u. Z. wurden sie anscheinend als Ersatz für den Tempel betrachtet.
Da es keine Priesterschaft mehr gab, gewannen nun Lehrer, die sogenannten Rabbis, an Bedeutung. Die Sadduzäer existierten nicht mehr als einflußreiche Gruppe, und die Essener waren einfach verschwunden, so daß die Pharisäer als unbestrittene Führer hervortraten. Ellis Rivkin vom Hebrew Union College schildert ihren Einfluß wie folgt: "Das mündliche Gesetz der Pharisäer brachte die Mischna hervor, den palästinischen und den babylonischen Talmud, die gaonischen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Responsen und die verschiedenen jüdischen Gesetzessammlungen." In der New Encyclopædia Britannica heißt es: "Noch heute behaupten die verschiedenen jüdischen Gruppen — ob orthodox, konservativ oder reformiert —, geistige Nachkommen der Pharisäer und der rabbinischen Weisen zu sein."
Schon vor 70 u. Z. lebten Millionen von Juden außerhalb Palästinas, vorwiegend in Syrien, Kleinasien, Babylonien und Ägypten. Nach 70 u. Z. wurden jedoch alle überlebenden Juden entwurzelt und zerstreut, worauf sie in der diaspora lebten — griechisch für "Zerstreuung". Doch selbst in der Diaspora behielten viele ihre Hoffnung auf Selbstbestimmung unter einem kommenden Messias bei. Der jüdische Führer Bar Kochba, der 132 u. Z. einen erfolglosen Aufstand gegen Rom anführte, erwies sich als falscher Messias. Gemäß der Jewish Encyclopedia erschienen von damals bis 1744 u. Z. 28 solche falschen Messiasse.
Somit wurden die messianischen Hoffnungen verständlicherweise unklar. Die Encyclopædia Judaica erklärt: "Die jüdische Ideologie des Mittelalters hat vom Altertum keine klare, einheitliche Vorstellung des Messias erhalten, . . . und die talmudische Literatur und die verschiedenen Midraschim enthalten viele gegensätzliche Ansichten." Bereits im 12. Jahrhundert sagte der jüdische Philosoph Moses Maimonides, die messianische Herrschaft sei womöglich nur ein Sinnbild für eine höhere Gesellschaftsform. Im 19. Jahrhundert ersetzten reformierte Juden "den Glauben an einen persönlichen Messias durch den Glauben an ein messianisches Zeitalter. . . . Die messianische Hoffnung wurde von ihrer traditionellen gedanklichen Verbindung mit der Rückkehr der Exiljuden nach Zion getrennt."
Kurz zuvor hatte die Haskala (Aufklärung), eine Bewegung in Europa, zusätzliche Verwirrung gestiftet. Sie trat für einen Judaismus ein, der bereit war, sich der westlichen Lebensweise anzupassen. Sie trug zur Entzweiung zwischen den Juden bei, die die Selbstbestimmung in einer wiederhergestellten jüdischen Heimat unter dem Messias als vorrangig betrachteten, und denjenigen, die die Eingliederung in das Leben ihres Geburtslandes für wichtiger ansahen.
Diese Entwicklungen, verbunden mit dem Aufkommen des Antisemitismus, waren Wegbereiter für den modernen Zionismus, der Ende des 19. Jahrhunderts von Theodor Herzl ins Leben gerufen wurde. Heute, im Mai 2013 — auf den Monat genau 65 Jahre nach der Gründung des Staates Israel —, erfreuen sich die Juden der Selbstbestimmung als jüdische Gemeinde in einer jüdischen Heimat, so wie es sich Herzl vorgestellt hatte. Hat sich ihre messianische Hoffnung verwirklicht?
Wenn ja, warum sehen dann einige Juden gemäß der Londoner Times "im Zionismus eine Profanität, die mit der Schaffung Israels Wirklichkeit wurde"? Warum gab der Historiker Theodore H. White, der selbst Jude war, offen zu: "Es gibt bei den Juden fast so viele verschiedene Sekten, die miteinander im Widerstreit liegen, . . . wie bei den Protestanten."? Warum schrieb das Magazin 1987 mit Bezug auf die sich streitenden religiösen Splittergruppen in der Knesset, dem aus 120 Mitgliedern bestehenden Parlament Israels: "Es muß eine dauerhafte Lösung gefunden werden, wenn Israel . . . nicht zu einem Haus werden soll, das unheilvoll in sich selbst entzweit ist."?
Die moderne jüdische Selbstbestimmung bietet kaum Hoffnung für die Zukunft. Dadurch, daß der Judaismus hinsichtlich der Verwirklichung seiner messianischen Hoffnung auf menschliche Politik vertraut, läßt er die Worte seiner eigenen Heiligen Schrift außer acht. (Bibel nach Zunz):
Psalm 118:8: "Besser ist es, sich bergen beim Ewigen, als auf Menschen vertrauen."
Psalm 146:3: "Vertrauet nicht auf Fürsten, auf den Menschensohn, bei dem nicht Hilfe ist".
Im Gegensatz zu den Schwierigkeiten, die viele Juden heute mit der Identifizierung ihrer messianischen Hoffnung haben, hatten eine Reihe ihrer Vorfahren im 1. Jahrhundert dabei überhaupt keine Probleme. Sie wurden Nachfolger desjenigen, den sie als den Messias anerkannten, und eifrige Verfechter einer Religion, die zu Recht als der "Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe" bezeichnet werden kann.
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