Siebzig Jahre Gefangenschaft in Babylon waren vorüber. Cyrus, der Eroberer Babylons und König von Persien, ließ die Juden in ihre Heimat zurückkehren (537 v. u. Z.). Doch dort, im Land der Verheißung, verwirklichte sich ihre Hoffnung auf Selbstbestimmung als freies Volk nicht. Sie hatten keinen König, und die politische Macht ihrer Statthalter wurde bald von der religiösen Macht des Hohenpriesters in den Schatten gestellt, der mit der Zeit als Oberhaupt des Volkes angesehen wurde.
Gemäß der Concise Jewish Encyclopedia entwickelte sich in dieser Zeit die Vorstellung von einem Messias — "der ideale Monarch künftiger Tage", der "nicht lediglich ein weiterer "gesalbter" Herrscher wäre, sondern der Herrscher, der Israels Feinde vernichten und eine herrliche Ära des Friedens und der Vollkommenheit herbeiführen würde".
Im 4. Jahrhundert v. u. Z. gerieten die Juden in den Machtbereich Alexanders des Großen. Doch war er offensichtlich nicht der Messias, den sie erwarteten, obwohl sein Reich einen starken Einfluß auf ihr Land, ihre Kultur und ihre Religion hatte.
Nach Alexanders Tod verblieb Palästina in griechischen Händen, zunächst unter den ägyptischen Ptolemäern und später unter den syrischen Seleukiden — beides Dynastien, die auf die Nachfolger Alexanders zurückgingen. Als der griechische Einfluß nachhaltiger wurde, betrachteten prominente und vornehme Juden die jüdischen Traditionen und Bräuche als veraltet. Führend war die Familie der Tobiaden, die während der Herrschaft des Seleukidenkönigs Antiochos IV. Epiphanes (175—164 v. u. Z.) Menelaus, der anscheinend zu dieser Familie gehörte, zum Hohenpriesteramt verhalf, und dies, obwohl Menelaus nicht aus dem traditionellen Priestergeschlecht Zadoks stammte, des Hohenpriesters in Salomos Tempel. Der griechische Einfluß wurde so stark, daß man die jüdischen religiösen Feste verbot und den Tempel zu einer griechischen Weihestätte machte.
Im Jahre 167 v. u. Z. rebellierten der jüdische Priester Mattathias und seine fünf Söhne, die allgemein als die Makkabäer oder Hasmonäer bezeichnet werden. Der Aufstand der Makkabäer, der ursprünglich religiöser Natur war, wurde bald zu einem politischen Kampf um die Selbstbestimmung der Juden. 165 v. u. Z. eroberten sie den Tempel zurück und weihten ihn wieder ein — ein Ereignis, das die Juden in der ganzen Welt heute jährlich als Chanukka, das achttägige Lichterfest, feiern. Doch ein Messias war immer noch nicht in Sicht.
Zu dieser Zeit "war nicht nur die religiöse und gesellschaftliche Führung des Volkes in den Händen der Priester", schreibt die jüdische Pictorial Biblical Encyclopedia, "sondern sie bildeten politisch und wirtschaftlich auch die stärkste und wohlhabendste Klasse in Jerusalem". Die Priester wurden jedoch so überheblich und so nachlässig in ihren Hirtenpflichten, daß sie von Nichtpriestern in der Auslegung des Gesetzes und in der Rechtsprechung ersetzt wurden. Diese Männer, die Schriftgelehrten, waren gewandt darin, Hintertürchen für Leute zu finden, die das Gesetz umgehen wollten.
In derselben Zeitspanne spaltete sich die jüdische Religion in miteinander wetteifernde Splittergruppen auf. Die Pharisäer lehrten, Gott habe Israel ein zweifaches Gesetz gegeben, teilweise schriftlich und teilweise mündlich. Auf der Grundlage des mündlichen Gesetzes rechtfertigten sie die hohepriesterliche Geschlechtslinie, nachdem die traditionelle Geschlechtslinie unterbrochen worden war. Die Sadduzäer hingegen leugneten das Bestehen eines mündlichen Gesetzes und behaupteten, nur ein direkter Nachkomme Zadoks dürfe als Hoherpriester dienen.
Die Bezeichnung "Pharisäer" stammt von einem Wort mit der Bedeutung "abgesondert", "getrennt" oder "ausgezeichnet". Man sagt, sie sei von ihren Gegnern gebraucht worden, um sie als Häretiker zu brandmarken. Andere behaupten, sie beziehe sich auf die "abgesonderte" oder "ausgezeichnete" Stellung, die sie beanspruchten, um sich von dem Volk des Landes, am-ha'arez, abzuheben, das sie als unrein betrachteten. Die Pharisäer waren äußerst selbstgerecht in ihrer Beachtung des schriftlichen und des mündlichen Gesetzes. Die ebenso starre Haltung der Sadduzäer gegenüber dem schriftlichen Gesetz "entstand nicht aus einem besonderen religiösen Empfinden heraus", schreibt der jüdische Autor Gaalyahu Cornfeld, "sondern als politische Waffe in ihrem Widerstand gegen die gesetzgebende Gewalt der Pharisäer".
Die Essener — eine weitere religiöse Gruppe — kamen anscheinend zur gleichen Zeit auf. Sie brachen mit der offiziellen Priesterschaft, nahmen von gottesdienstlichen Handlungen und Opfern im Tempel Abstand, hielten sich aber sonst genau an das Gesetz. Wie die Pharisäer, denen sie in vieler Hinsicht ähnelten, fielen sie dem hellenistischen Einfluß zum Opfer, indem sie den Glauben an eine unsterbliche Seele übernahmen.
Die Gruppe hatte wahrscheinlich nicht mehr als 4 000 Anhänger — alles Männer, von denen viele unverheiratet blieben. Sie lebten in Gemeinschaftshäusern in abgeschiedenen Gemeinden über ganz Palästina verteilt.
Die Encyclopædia Judaica spricht von ihrem angeblichen Pazifismus und behauptet, er sei "wahrscheinlich dem der neuzeitlichen Zeugen Jehovas ähnlich". Aber offensichtlich praktizierten die Essener nicht die strenge Neutralität, wie Jehovas Zeugen sie heute ausleben. In der jüdischen Pictorial Biblical Encyclopedia heißt es, daß die Essener "während des Aufstands gegen Rom heldenhaft kämpften, wobei sogar einige Anführer aus ihren Reihen kamen". Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus erwähnt einen solchen Anführer — ein gewisser "Johannes der Essener", der beim Aufstand von 66 u. Z. als jüdischer General diente.
Die Schriftrollen vom Toten Meer, die 1947 gefunden wurden, geben Aufschluß über die Kumran-Sekte, von der einige Gelehrte annehmen, sie sei mit den Essenern gleichzusetzen. Doch über die Vermutung, Johannes der Täufer und Jesus hätten dieser Gruppe angehört oder seien zumindest von ihr beeinflußt worden, sagt die New Encyclopædia Britannica: "Bedeutsame Argumente . . . sprechen gegen diese Annahme." Es gibt "wesentliche Unterschiede zwischen der Kumran-Sekte und Johannes dem Täufer . . . sowie Gegensätze zwischen den Ansichten der Sekte und der Reichweite des Wirkens Jesu, seiner Heilsbotschaft, seinem Verständnis des Gotteswillens . . . und besonders dem umfassenden Charakter seines Gebotes der Liebe und seiner Gemeinschaft mit Sündern und sozialen Außenseitern".
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