Der Vedismus kennt viele Götter. Doch wie in dem Buch Concepts of Indian Philosophy erklärt wird, empfanden seine Anhänger dies als unbefriedigend, so daß "sie sich allmählich einer monotheistischen Vorstellung von einer Gottheit zuwandten. . . . Ein Prozeß bestand darin, alle früheren Götter zusammenzufügen . . ., um einen begrifflichen Gott hervorzubringen." Brahma wurde daher zu einem unpersönlichen Gott ohne irgendwelche Eigenschaften, der sich aber in verschiedenen Gottheiten verkörperte.
Der Wunsch, Mokscha zu erlangen, gründet sich auf die, wie es der Historiker Will Durant ausdrückt, "Abneigung gegen das Leben . . ., die dunkel durch die ganze indische Gedankenwelt zieht". Diese düstere, pessimistische Grundhaltung kommt deutlich in der Maitri Upanischad zum Ausdruck, in der es heißt: "In diesem mit Leidenschaft, Zorn, Begierde, Wahn, Furcht, Verzagtheit, Neid, Trennung von Liebendem, Bindung an Unliebes, Hunger, Durst, Alter, Tod, Krankheit, Kummer und dergleichen behafteten Leibe — wie mag man nur Freude genießen!"
Eine Möglichkeit, diesem unerfreulichen Zustand abzuhelfen, wird in den Puranas genannt, einer Reihe von Schriften, die wahrscheinlich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung verfaßt wurden. Der Name bedeutet "alte Erzählungen"; sie waren weit verbreitet und galten als die Schriften des einfachen Mannes. Im Garuda Purana wird behauptet: "Wahres Glück liegt in der Auslöschung aller Gefühlsregungen. . . . Gefühl geht mit Elend einher. . . . Sage dich von Gefühlen los, und du wirst glücklich sein." Leider ist diese Lösung wohl fast ebenso trostlos wie der Zustand des Unglücklichseins, dem sie abhelfen soll.
Bereits vorher empfahl die Bhagawadgita ("Gesang des Erhabenen"), die mitunter als "wichtigstes Buch, das je in Indien geschrieben wurde", bezeichnet wird, drei Wege, die Befreiung zu erlangen. "Der Weg des Handelns" betonte die Erfüllung ritueller und sozialer Pflichten, "der Weg der Erkenntnis" schloß Meditation und Yoga ein, und "der Weg der Hingabe" beinhaltete die Ergebenheit gegenüber einem persönlichen Gott. Die Bhagawadgita ist mit dem "Neuen Testament" der Christenheit verglichen worden. Die meisten Inder kennen einige ihrer Verse auswendig, und viele singen jeden Tag auswendig gelernte Passagen davon.
Die Bhagawadgita ist eigentlich nur ein kleiner Teil des Mahabharata, das hunderttausend Verse hat und damit das längste Gedicht der Weltliteratur ist. Mit der Aufnahme der Bhagawadgita in das Mahabharata (wahrscheinlich im 3. Jahrhundert v. u. Z.) wurde der Hinduismus schließlich zu einer vom Vedismus und Brahmanismus getrennten Religion.
Seit den Anfängen kennzeichnet sich der Hinduismus durch ständige Reformen. Unter den Reformern des 6. Jahrhunderts v. u. Z. stechen Siddhartha Gautama, der Begründer des Buddhismus, und Wardhamana Mahavira, der Begründer des Dschainismus, hervor.
Mahavira betrachtete sich selbst als 24. einer Reihe von Dschinas (Sieger), auf deren Leben sich der Dschainismus gründet. Diese Religion unterscheidet sich insofern vom Hinduismus, als sie einen Schöpfer ablehnt und lehrt, die Welt habe schon immer existiert. Sie legt besonderen Wert auf die Lehre des Ahimsa. Der Weg der Gewaltlosigkeit, den der indische Führer Mohandas Gandhi aus dem 20. Jahrhundert während seines Kampfes um die Unabhängigkeit Indiens ging, war eigentlich eine politische Umsetzung dieser religiösen Lehre.
Nach dem Dschainismus führen rechter Glaube, rechte Erkenntnis und rechtes Verhalten, verbunden mit dem Betreiben von Yoga, zur Erlösung. Gleichzeitig wird behauptet, alles sei im Grunde eine Sache des Standpunktes, so daß absolute Maßstäbe für Recht und Unrecht ausgeschlossen werden. Dadurch wird die Toleranz des Hinduismus hervorgehoben, dem der Dschainismus entstammt.
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