Das 19. Jahrhundert wurde als eine der ereignisreichsten Perioden der christlichen Geschichte bezeichnet, vergleichbar mit den ersten Jahrhunderten und der Reformation. Die Gründe für das wachsende religiöse Bewußtsein und die religiöse Betätigung sind vielfältig.
Der Autor Kenneth S. Latourette gibt dafür 13 Faktoren an, von denen einige in der vorherigen Ausgabe dieser Zeitschrift erörtert wurden. Er schreibt: "Nie zuvor hat sich die menschliche Gesellschaft in so kurzer Zeit so tiefgreifend und in so vieler Hinsicht verändert."
In den Vereinigten Staaten war die religiöse Erweckung deutlich wahrnehmbar. Die Zahl der Kirchenmitglieder stieg beispielsweise während des 19. Jahrhunderts von weniger als 10 Prozent der Bevölkerung auf fast 40 Prozent an. Sonntagsschulen, die 1780 in England eingeführt worden waren, erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. Ein Grund dafür war, daß im Gegensatz zu Europa in den Vereinigten Staaten die Trennung von Kirche und Staat die religiöse Unterweisung an öffentlichen Schulen ausschloß. Außerdem wurden in den Vereinigten Staaten Dutzende von theologischen Universitäten und interkonfessionellen Bibelgesellschaften gegründet, und in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurden mindestens 25 Seminare eingerichtet.
Weltweit erwachte im Protestantismus ein Missionsgeist. Der englische Schuhmacher und Lehrer William Carey ging 1792 führend voran, indem er ein Buch herausgab mit dem Titel An Enquiry Into the Obligations of Christians to Use Means for the Conversion of the Heathens (Untersuchung über die Pflicht eines Christen, Mittel und Wege für die Bekehrung der Heiden zu nutzen). Während Carey und seine Mitarbeiter als Missionare in Indien dienten, übersetzten sie die Bibel ganz oder teilweise in über 40 indische und andere asiatische Sprachen und Dialekte. Die Arbeit, die eine Reihe dieser ersten Missionare bei der Verbreitung von Bibeln leisteten, ist lobenswert.
Die verhältnismäßig neue Wissenschaft der biblischen Archäologie gewann im neunzehnten Jahrhundert ebenfalls an Bedeutung. Französische Soldaten entdeckten 1799 in Ägypten den Stein von Rosette, eine Tafel aus schwarzem Basalt. Darauf steht dreimal dieselbe Inschrift — zweimal in zwei verschiedenen Arten ägyptischer Hieroglyphen und einmal in Griechisch. Er war von unschätzbarem Wert bei der Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen. Bald darauf wurde auch die assyrische Keilschrift entschlüsselt. Als daher kurze Zeit später in Assyrien und Ägypten Ausgrabungen vorgenommen wurden, erhielten die gefundenen Artefakte eine neue Bedeutung. Viele Bibelberichte wurden bis in kleinste Einzelheiten bestätigt.
Mit dem wachsenden religiösen Interesse wuchs auch die Zahl der Möchtegernreformer. Es war jedoch offensichtlich, daß nicht alle aufrichtig waren. Der zuvor erwähnte Autor Kenneth S. Latourette gibt offen zu, daß einige der neuen Glaubensgemeinschaften "aus Neid, Streit und persönlichem Ehrgeiz ins Leben gerufen wurden". Aber es ist kaum anzunehmen, daß Gott Reformer, die aus persönlichem Ehrgeiz ihre Kerze anzünden, für die Wiederherstellung der wahren Anbetung ausgewählt hat.
Kirche Christi, Wissenschaftler: Diese religiöse Bewegung ist allgemein als Christliche Wissenschaft bekannt. Sie wurde 1879 von Mary Baker Eddy gegründet, die sehr gesundheitsbewußt war. Sie soll 1866 augenblicklich von den Folgen eines schweren Unfalls geheilt worden sein. Dadurch gelangte sie zu der Überzeugung, die Grundlagen entdeckt zu haben, nach denen Jesus Kranke heilte und Tote auferweckte. Ihr 1875 erschienenes Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift lehrt, daß das Geistige dem Physischen überlegen ist, daß Sünde, Krankheit, Tod und andere negative Erscheinungen Illusionen sind, die besiegt werden können durch eine Erkenntnis der Wahrheit und durch positives Denken in Harmonie mit dem Gemüt, das Gott bedeutet.
Disciples of Christ (Jünger Christi): Diese Kirche wurde 1832 von amerikanischen Presbyterianern gegründet, die auf eine Wiederherstellung bedacht waren. Ihr Grundsatz lautete: "Wo die Heilige Schrift spricht, sprechen wir; wo die Heilige Schrift schweigt, schweigen wir." Ein Nachschlagewerk beschreibt sie als "äußerst tolerant in Fragen der Lehre und der Religion". Die Gläubigen wurden während des amerikanischen Bürgerkriegs durch die Politik stark entzweit. 1970 gab es 118 Glaubensgemeinschaften, darunter die Kirchen Christi, die 1906 entstanden sind.
Heilsarmee: William Booth rief diese militärisch organisierte religiöse Gruppe ins Dasein. Booth war mit Anfang 20 zunächst Methodistenprediger und wurde 1861 ein unabhängiger Erweckungsprediger. Er und seine Frau schufen unter den Armen in Ost-London eine Predigtmission. Der Name der Gruppe wurde 1878 von Christliche Mission auf Heilsarmee abgeändert. Die Heilsarmee will "Seelen retten", indem sie Obdachlosen, Hungernden, Mißhandelten und Benachteiligten soziale Hilfe leistet.
Adventisten des Siebenten Tages: Die größte von etwa 200 adventistischen Glaubensgemeinschaften. Ihr Name stützt sich auf den Glauben an das zweite Kommen (Advent) Christi. Die Adventisten gehen auf eine Bewegung William Millers, eines Laienpredigers der Baptisten, zurück, die Anfang der 1840er Jahre aufkam. Sie lehren, die Zehn Gebote seien immer noch in Kraft, und halten am Samstag buchstäblich Sabbat. Einige Gläubige erkennen den Schriften Ellen Gould Whites fast biblische Inspiration zu. Sie war eine der einflußreichsten Führerinnen der Gruppe und behauptete, durch eine Reihe göttlicher Visionen erleuchtet worden zu sein.
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