Freitag, 14. Juni 2013
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VERGANGENHEIT HOLT RELIGION EIN – 2. Teil

Der Personalmangel ist schlimm genug, aber schlimmer noch ist, daß auf viele Geistliche kein Verlaß mehr ist. Die Zahl der Priester und Nonnen, die sich der offiziellen Kirchenpolitik in Fragen des Zölibats, der Geburtenkontrolle und der religiösen Rolle der Frau widersetzen, nimmt zu. Das zeigte sich im Januar 1989, als 163 europäische katholische Theologen eine öffentliche Erklärung abgaben — bis zum 1. Mai wurde sie von 500 weiteren unterzeichnet —, durch die der Vatikan des Autoritarismus und des Machtmißbrauchs beschuldigt wurde.

Millionen in der Christenheit sind geistig tot, Opfer geistiger Fehlernährung. Ein amerikanischer Geistlicher klagte diesbezüglich: „Die Kirche ist ein Supermarkt geworden, in dem Durchgangsbesuchern minderwertige geistige Nahrung geboten wird. Die Predigt des Pfarrers ist kaum mehr als das „Sonderangebot der Woche“, das den Kunden gezwungenermaßen zu einem Billigpreis offeriert wird.“

Seit 1965 ist die Anhängerzahl in fünf bedeutenden protestantischen Kirchen in den Vereinigten Staaten um rund 20 Prozent zurückgegangen und die Zahl der Aufnahmen in Sonntagsschulen um über 50 Prozent. „Nicht nur, daß die traditionellen Kirchen ihre Botschaft nicht an den Mann bringen können“, schreibt das Magazin Time, „sie werden sich auch immer unsicherer, worin diese Botschaft überhaupt besteht.“ Bei diesem geistigen Hunger ist es kein Wunder, daß viele Kirchenzeitschriften nicht mehr erscheinen. Bereits Mitte der 70er Jahre klagte ein solches Magazin: „Die Zeit der allgemeinen religiösen Zeitschriften . . . ist vorbei.“

Im 18. Jahrhundert erkannte der englische Politiker Edmund Burke, daß „für die Religion nichts so verhängnisvoll ist wie die Gleichgültigkeit“. Wenn er heute noch am Leben wäre, würde er überall religiöse Gleichgültigkeit vorfinden.

Vor Jahren gaben bei einem Interview unter Lutheranern in den Vereinigten Staaten beispielsweise 44 Prozent an, sie würden mit Familien, die nicht der Kirche angehörten, nicht über ihren Glauben reden, wenn ihr Pfarrer sie darum bitten würde. Gemäß einer neueren Umfrage sind über drei Viertel der Katholiken in den Vereinigten Staaten der Ansicht, daß man auch dann ein guter Katholik sein kann, wenn man anderer Meinung ist als der Papst, selbst in sittlichen Fragen.

In Japan halten 79 Prozent der Bevölkerung Religiosität für wichtig. Aber da sich gemäß der Veröffentlichung Religions of Modern Man nur ein Drittel tatsächlich zu einer Religion bekennt, sind offensichtlich viele zu gleichgültig, um ihren Worten Taten folgen zu lassen.

Religiös gleichgültige Erwachsene haben im allgemeinen keine eifrigen und religiös empfänglichen Kinder. Eine Umfrage unter 11- bis 16jährigen, die der Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Bonn durchführte, ergab, daß junge Leute mehr denn je nach Vorbildern suchen, für die sie sich begeistern können. Aber als sie nach ihren Vorbildern gefragt wurden, erwähnte kein einziger Pfarrer und Kirchenführer.

Die organisierte Religion übt nicht mehr die politische Macht aus wie einst. Der Vatikan zum Beispiel konnte selbst in vorwiegend katholischen Ländern nicht verhindern, daß Gesetze über Abtreibung, Scheidung und freie Religionsausübung, die ihm sicher nicht behagen, durchgebracht wurden. Auch schloß der Vatikan 1984 gezwungenermaßen ein Konkordat, das den Katholizismus seiner Stellung als Italiens Staatsreligion beraubte.

Was die falsche Religion ehemals durch geschickten politischen Druck erreichte, versucht sie heute durch öffentliche Protestbewegungen durchzusetzen, die von prominenten Geistlichen wie dem anglikanischen Erzbischof Desmond Tutu von Südafrika angeführt werden.

Im Jahre 1910 brachte eine Konferenz protestantischer Missionsgesellschaften in Edinburgh (Schottland) die moderne ökumenische Bewegung ins Dasein. Diese Bewegung wurde in letzter Zeit verstärkt in dem Bemühen, die religiöse Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis zu fördern, damit die „christliche Religion“ einmütig sprechen könne.

Die ökumenische Bewegung nimmt viele Formen an. Ein bedeutsamer Schritt wurde 1948 in Amsterdam mit der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen getan. Er setzte sich ursprünglich aus fast 150 protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen zusammen, zählt heute aber doppelt so viele.

Obwohl die römisch-katholische Kirche dem Ökumenischen Rat der Kirchen nicht angehört, scheint sie sich zögernd in diese Richtung zu bewegen. Im Jahre 1984 schloß sich Papst Johannes Paul II. im schweizerischen Sitz des Rates dem ausscheidenden Generalsekretär in der Leitung eines ökumenischen Gebetsgottesdienstes an. Und im Mai 1989 befanden sich auch Katholiken unter den über 700 europäischen Theologen auf einer Versammlung in Basel, die von einer Zeitung als „das größte ökumenische Ereignis seit der Reformation“ bezeichnet wurde.


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